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Wirtschafts-Sanktionen - eine tödliche Waffe (03. Jun 2003   07:00 MEZ)
Die humanitären Folgen eines Embargos
Die Sanktionen sind ineffektiv und inhuman: Hans von Sponeck, Johan Galtung, Hans Köchler © web
Die Sanktionen sind ineffektiv und inhuman: Hans von Sponeck, Johan Galtung, Hans Köchler


Am 22. Mai hat der UN-Sicherheitsrat die Wirtschafts-Sanktionen gegen den Irak aufgehoben. Damit endeten dreizehn Jahre ökonomischer Isolation des Iraks durch die internationale Gemeinschaft. Die UNO hatte nach der irakischen Invasion Kuwaits 1990 zu diesen drastischen Maßnahmen gegriffen, um Saddam Hussein zum Rückzug zu zwingen. Dieses Ziel konnte schließlich nur durch militärische Intervention erreicht werden.

Die Sanktionen allerdings blieben auch nach der Befreiung Kuwaits im Frühjahr 1991 in Kraft, eine neue Forderung wurde an den Irak gerichtet: vollkommene Abrüstung. Wiederum konnte die internationale Gemeinschaft Hussein erst durch militärischen Druck zur Einhaltung der Resolutionen bewegen. Die von den USA angeführte Kriegskoalition glaubte sogar, ein zweites Mal Krieg führen zu müssen. Die Frage ist allerdings, warum Wirtschafts-Sanktionen nicht die gewünschten Ziele erreichen.

Boykott politisch unwirksam…
Das Institute for International Economics (IIE) hat die Wirksamkeit von Wirtschafts-Sanktionen untersucht. Deren Effektivität hat in den letzten Jahrzehnten deutlich abgenommen: Nur in einem Fünftel der untersuchten Fälle zwischen 1970 und 1990 war der Boykott erfolgreich. Sanktionen sind ein ökonomisches Zwangs-Instrument, um das politische Verhalten eines Staates, gegen den sie gerichtet sind, zu beeinflussen.

Der Friedensforscher Johan Galtung hat bereits in den sechziger Jahren versucht zu erklären, warum Wirtschafts-Sanktionen eine geringe Erfolgsquote haben. Die Verfechter solcher Maßnahmen gehen von einer falschen Theorie aus: Der Niedergang des gesellschaftlichen Wohlstandes als Folge des ökonomischen Boykotts würde die Bevölkerung zum Aufstand gegen das eigene Regime ermuntern. Dies anzunehmen, sei naiv, sagt Galtung, denn das Gegenteil tritt ein.

Die Bevölkerung fühlt sich von außen bedroht und schart sich um die Regierung, welche die Gelegenheit nutzt, um Stärke zu zeigen. „Die Regierenden erhalten die Möglichkeit, sich als David darzustellen, der von einem übermächtigen Goliath bedroht wird“, so der Friedensforscher. Außerdem ist es in einer globalisierten Wirtschaft kaum mehr möglich, alle Handelsströme zu unterbinden, wie das IIE in seiner Studie festhält. Auch der Irak konnte Öl in die Nachbarländer Türkei, Syrien und Jordanien schmuggeln.

…aber eine humanitäre Katastrophe
Die Wirtschafts-Sanktionen verfehlen nicht nur ihr Ziel, die Menschen sind auch die Leidtragenden dieser Politik. Johan Galtung, Träger des alternativen Nobelpreises, hat mehrmals die Folgen der Irak-Sanktionen angeprangert. Auch mehrere UNO-Dokumente haben in den vergangenen 13 Jahren auf die dramatischen Auswirkungen der Sanktions-Politik aufmerksam gemacht. Und zuerst trifft es die Schwachen in der Bevölkerung: Die Kindersterblichkeit im Irak ist seit 1990 um 160 Prozent gestiegen; über 500.000 Kinder starben wegen fehlender Medikamente, Unterernährung und schmutzigem Wasser; alle drei Faktoren sind auf die Sanktionen zurückzuführen. Auch die psychischen Erkrankungen unter Kindern haben deutlich zugenommen.

Noam Chomsky sprach angesichts solcher Zahlen vom „legitimierten Massenmord.“ Die langfristigen Folgen betreffen aber auch den Rückgang der Alphabetisierung. In den achtziger Jahren war der Irak noch international ein Vorbild, unter dem Sanktionsregime ist die Zahl der Analphabeten wieder um 20 Prozent gestiegen.

Lebensnotwendige Güter können nicht importiert werden
Auch das 1995 beschlossene „Öl-für-Nahrung“-Programm konnte die humanitäre Situation nicht verbessern: Der Irak durfte unter Überwachung der UNO eine bestimmte Menge an Öl verkaufen, um medizinische Güter und Nahrungsmittel zu importieren. Allerdings durften so genannte „dual use“- Güter nicht eingeführt werden, also Waren, die potentiell auch militärisch genutzt werden könnten. Darunter fällt etwa die chemische Substanz Chlorin, die zur Reinigung von Trinkwasser nötig ist.

Auch andere notwendige medizinische Geräte und Medikamente fielen unter Verdacht, für militärische Zwecke missbraucht zu werden und durften daher nicht importiert werden. Sowohl Hans von Sponeck als auch Dennis Halliday traten als Verantwortliche des „Öl-für-Nahrung“-Programms angesichts der humanitären Katastrophe zurück. „Diese Sanktionen sind politisch wirkungslos und menschlich eine Katastrophe“, meinte etwa von Sponeck.

Sanktionen verstoßen gegen Menschenrechte
Hans Köchler, Professor für politische Philosophie in Innsbruck, hat ebenfalls zahlreiche Appelle zur Aufhebung der Irak-Sanktionen unterschrieben und sieht im Wirtschafts-Boykott einen Verstoß gegen die Menschenrechte: „Zwangs-Maßnahmen dürfen niemals eine Kollektiv-Bestrafung sein.“ Genau das aber passiert. Im humanitären Völkerrecht ist die Geiselnahme der Bevölkerung laut Genfer Konvention verboten. Auch der Sicherheitsrat ist an die Einhaltung der Menschenrechte, wie sie in der UNO-Charta niedergelegt sind, gebunden, so Köchler. „Sanktionen sind eine strukturelle Form der Gewalt, weil sie das Recht auf Leben und auf medizinische Versorgung untergraben.“

Der Tod kommt auf leisen Sohlen
Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson hoffte nach dem Ersten Weltkrieg noch, dass Wirtschafts-Sanktionen als Mittel internationaler Politik Kriege in Zukunft obsolet machen würden. „Wende diese wirtschaftlichen, friedlichen, stillen, tödlichen Maßnahmen an und der Einsatz von Gewalt wird nicht notwendig sein.“ Es scheint, als habe er das Wesen des Boykotts schon erkannt; nur glaubte er noch an dessen Wirksamkeit.


Links dazu
Artikel zum Thema Irak-Sanktionen
Prof. Hans Köchler

(pk)